Hört man Begriffe wie „virtual reality“ oder „immersive deck“, denkt man automatisch an trendige, aktuelle Ideen und Entwicklungen, die brandneu zu sein scheinen. Tatsächlich hat aber auch „virtual reality“ bereits eine 179-jährige Entstehungsgeschichte vorzuweisen, die wir euch in diesem Beitrag näher bringen wollen.
So unglaublich es klingen mag, wird die Erfindung des Stereoskops im Jahr 1838 durch Sir Charles Wheaterstone als Geburtsstunde der virtual reality gesehen. Der Erfinder befasste sich mit Forschung zum Thema „räumliches Sehen“ und konstruierte einen Apparat, der den Blick des Betrachters durch ein ausgetüfteltes Spiegelsystem auf ein eigenhändig berechnetes und selbst gezeichnetes Stereobildpaar ermöglichte, wodurch ein räumlicher Eindruck entstand (vgl. Wikimedia Foundation, Inc., 2017a). Der erste Schritt in Richtung der dreidimensionalen Bilddarstellung war getan.
Den nächsten Meilenstein setzte Morton Heilig im Jahr 1955 mit der Erfindung des Sensoramas – einer Maschine, die zur „multimedialen“ Betrachtung von Filmen gebaut wurde und mittels Stereoskoptechnik, Schwenk-Technik, Stereo-Sound, Windmaschine und olfaktorischen Elementen alle Sinne des Benutzers ansprechen sollte. Das Gerät wurde sogar zum Patent angemeldet, lediglich ein Mangel an finanziellen Mitteln verhinderte die serienmäßige Herstellung dieser frühen Vorform der VR-Brille (vgl. Wikimedia Foundation, Inc., 2017b).
Quelle: Minecraftpsyco Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47304870
Der Internetpionier Ivan Sutherland entwickelte 1965 das Konzept des „Ultimate Display“, welches bereits die Basis für die heutige VR-Technik beschreibt: Mit der Absicht, eine Darstellungsform für Prozesse, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind, zu finden, sah er die Chance, diese mit Hilfe eines an einen Computer angeschlossenes Display nachzubilden und dadurch für den Menschen visuell darzustellen (vgl. Pennsylvania State University, 2017).
Bereits 1968 konnte das erste Head Mounted Display namens „The Sword of Damocles“ erschaffen werden, das allerdings noch zu schwer war, um von einem Menschen selbst am Kopf getragen werden zu können. Es ermöglichte die Darstellung des ersten Objekts im virtuellen Raum: Ein schwebender Drahtgitterwürfel mit einer Kantenlänge von fünf Zentimeter (vgl. VR Nerds GmbH, 2017a).
Quelle: http://www.pxvr.com/accessibility-of-vr-the-future-of-virtual-reality/
Obwohl die Computer in den 70er-Jahren sowie in den beginnenden 80er-Jahren noch nicht leistungsfähig genug waren, um weitere technische Entwicklung in diesem Bereich zu realisieren, ließen sich die Literaten der Zeit dadurch nicht bremsen und schufen – inspiriert durch die aufgezeigten Möglichkeiten – bereits viele der Begriffe, die uns heute gebräuchlich sind: So schrieb Damien Francis Broderick in seinem 1982 erschienenen Roman „The Judas Mandala“ erstmals über die „Virtual Reality“ in ihrer heutigen Bedeutung. William Gibson prägte in seinem 1984 erschienenen Buch „Neuromancer“ den Begriff „Cyberspace“ und „Matrix“ im Zusammenhang mit global vernetzten, elektronischen Informationsnetzwerken (vgl. Wikimedia Foundation, Inc., 2017c).
Mitte der 80er-Jahre entwickelte der „Vater der Virtuellen Realität“, Jaron Lanier, mit seiner Firma VPL Research bereits erste VR-Anwendungen wie den „Data Glove“: Ein Gerät, das über die Hand gezogen wird und mit dem Aktionen im Computer wie beispielsweise das Greifen virtueller Gegenstände ausgelöst werden können. Lanier wollte damit die technische Machbarkeit derartiger Geräte demonstrieren (vgl. Wikimedia Foundation, Inc., 2017d). Motivation dieser Entwicklung war für ihn übrigens, „Gitarre zu spielen wie Jimmi Hendrix, aber ohne ein physisches Instrument.“ (vgl. Wikimedia Foundation, Inc, 2017e).
Mit dem Virtual Environment Display System (VIVED) startete die NASA 1985 ein wegweisendes VR-Projekt. Dieses sollte den Astronauten bei der Kontrolle von Raumfahrzeugen helfen. Weiters forschte man auch im Bereich der Telerobotik, um gefährliche Missionen mittels Roboter möglichst realistisch von einem sicheren Kontrollzentrum aus steuern zu können. Im VPE-Projekt wurden erstmals numerische Daten über den Mars durch ein VR-System visualisiert, um den Wissenschaftlern die Erforschung der Marsoberfläche in einer dreidimensionalen und interaktiven Weise zu ermöglichen (vgl. VR Nerds GmbH, 2017b).
Im Jahr 1992 wurde das Projekt CAVE (Cave Automatic Virtual Environment) vom Kunstprofessor Daniel Sandin und den Informatikern Tom DeFanti und Carolina Cruz-Neiraan an der University of Illinois entwickelt. Es handelt sich dabei um eine immersive Projektion, bei der bis zu sechs senkrecht zueinander stehende Projektionsebenen in einem quadratischen Raum mit Hilfe einer 3D-Brille eine virtuelle Umgebung erschaffen. Ermöglicht wurde dies durch die automatische Synchronisierung der projizierten Bilder mit der Position der Brille, wodurch in Echtzeit die für den Betrachter passende Perspektive errechnet und ausgespielt werden konnte (vgl. Wikimedia Foundation, Inc, 2017f).
Quelle: Davepape – own work (self-photograph using timer), Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=868395
Ab Mitte der 1990er-Jahre begann sich auch die Spiele-Industrie für VR zu interessieren und entsprechende Produkte zu entwickeln. So präsentierte der Anbieter SEGA ein virtuelles Headset mit LCD-Schirm und Stereo-Kopfhörern namens „SEGA VR“, welches aber auf Grund technischer Probleme nie Marktreife erlangte. Das Unternehmen argumentierte dies mit der Begründung, der VR-Effekt wäre zu realistisch gewesen und hätte dadurch eine große Verletzungsgefahr für die Benutzer bedeutet (vgl. Wikimedia Foundation, Inc, 2017g).
Mitbewerber NINTENDO hingegen wagte das Risiko und brachte 1995 die Table-Top Spielkonsole VIRTUAL BOY auf den Markt, die mit einem am Tisch stehenden, einer Brille ähnlichen, aber nicht aufsetzbaren Display ausgeliefert wurde. Damit konnten Spiele in roter, monochromer, auf der Stereoskop-Technik basierender 3D-Grafik erlebt werden. Da aber der Preis im Vergleich zum wahrgenommenen Nutzen bzw. Erlebnis zu hoch war, floppte auch dieses Produkt (vgl. Wikimedia Foundation, Inc., 2017h).
Seit der Jahrtausendwende und gleichzeitig mit der immer rascher voranschreitenden Entwicklung der Computertechnik bricht nach und nach das „goldene Zeitalter“ der VR-Technik an, auch wenn wir noch lange nicht am Ende dieser Reise angelangt sind. Filme wie der 1999 erschienen Science-Fiction-Klassiker „Matrix“ halfen genauso mit, das Thema „simulierte Realität“ dem Mainstream näher zu bringen wie die Smartphone-Revolution mit dem Flaggschiff Galaxy S2 oder die Verbreitung von HD-Displays und 3D-Grafik (vgl. http://www.bigfishgames.de, 2017).
Der aktuelle Spin vieler Start-ups, hochwertige VR-Endgeräte herzustellen entstand 2012 durch die Firma Oculus, die mittels Crowdfunding 2,5 Mio. Dollar für die Entwicklung einer kostengünstigen, aber hochperformanten VR-Brille für den PC sammeln konnte, wodurch die Herstellung der Oculus Rift ermöglicht wurde. Brillen wie die HTC-Vive oder das Samsung VR-Gear folgten. Samsung bewies mit 4,5 Mio. verkauften Einheiten seit 2015 endgültig, das Virtual Reality Massenkompatibel geworden ist und mittlerweile auch für große und etablierte Hersteller wirtschaftlich interessant geworden ist. So kann sich auch beispielsweise Sony im Jahr 2016 über den Absatz von 750.000 Stück Headsets für die Playstation VR freuen (vgl. www.vrnerds.de, 2017c).
Fazit
Trotz der überraschend langen Entwicklungsgeschichte von VR sind die Neuerungen gerade heute spannend wie nie. Beflügelt durch die stetig besser werdende Rechenleistung der Chips, aber auch der Displays entstehen schon heute aus einer einstmaligen wissenschaftlichen Nische einiger Nerds vielseitige und nützliche Anwendungen von VR in Branchen und Massenmärkten wie Automotive, Immobilien, Medizin, Kultur, Gaming und vieles mehr. Und das ist erst der Anfang …
Quellen
Big Fish Games Inc., „Ein Blick zurück – die Geschichte der Virtual Reality“,
http://www.bigfishgames.de/blog/ein-blick-zuruck-die-geschichte-der-virtual-reality/ [Stand: 6. November 2017]
Pennsylvania State University, „The Ultimate Display (1965)“, URL:
http://citeseer.ist.psu.edu/viewdoc/summary?doi=10.1.1.136.3720 [Stand: 6. November 2017]
VR Nerds GmbH, 2017a: „Die Geschichte der virtuellen Realität“, URL:
https://www.vrnerds.de/die-geschichte-der-virtuellen-realitaet/ [Stand: 6. November 2017]
VR Nerds GmbH, 2017b: „Die Geschichte der virtuellen Realität“, URL:
https://www.vrnerds.de/die-geschichte-der-virtuellen-realitaet/ [Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc. 2017a, „Stereoscope“, URL:
https://en.wikipedia.org/wiki/Stereoscope[Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc. 2017b, „Sensorama“, URL:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sensorama[Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.2017c, „William Gibson“, URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/William_Gibson [Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.,2017d „Jaron Lanier“, URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jaron_Lanier [Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.,2017e „Datenhandschuh“, URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datenhandschuh[Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.,2017f „Cave Automatic Virtual Environment“, URL:
https://en.wikipedia.org/wiki/Cave_automatic_virtual_environment [Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.,2017g „Sega VR“, URL:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sega_VR [Stand: 6. November 2017]
Wikimedia Foundation, Inc.,2017h „Virtual Boy“, URL:
https://en.wikipedia.org/wiki/Virtual_Boy [Stand: 6. November 2017]