VR in der Produktentwicklung und Fertigung

Airbus
24 Okt, 2018

Auch wenn sich dieser Blog hauptsächlich mit der Marketingperspektive an AR und VR annähert, wollen wir uns in diesem Beitrag mit dessen Einsatz in der Produktentwicklung und Fertigung beschäftigen.

Designstudien

Von der ersten Produktidee zum fertigen Produkt ist es ein harter und steiler Weg. Nur eine von hundert Produktideen schafft es tatsächlich, diesen evolutionären Pfad vollständig zu gehen. Mit Hilfe von Virtual Reality gibt es nun viele Möglichkeiten, Prozesse der Produktentwicklung – zum Beispiel im Bereich der Erstellung von Designstudien – zu unterstützen. Diese sollen dazu dienen, dem Kunden bereits in der Entwicklungsphase in die Ausgestaltung des Endproduktes einzubeziehen und somit eine bessere Vorstellung über den „look and feel“ zu vermitteln. So schuf EADS – Europas größter Luft- und Raumfahrtskonzern – bereits 2011 eine eigene Virtual Reality Plattform, um die Gestaltung von Flug- und Raumfahrzeugen während der Designphase optimal planen zu können. So kann beispielsweise mittels „Lichtsimulation“ die Beleuchtungssituation in einem Flugzeug schon vorab gesehen, verglichen und abgeändert werden, um wunschgemäße Ergebnisse sicherstellen zu können.

 

Ergonomie

Da aber nicht nur gestalterische Aspekte ins Produktdesign einfließen, sondern auch eine Zweckmäßigkeit für den Benutzer erforderlich ist, ging EADS sogar noch weiter und schuf die RHEA (realistic human ergonomic analysis) Technologie. Diese ermöglicht, schon in der Entwicklungsphase die Position des Piloten, eines Crew-Mitglieds, eines Passagiers oder eines Flugzeugtechnikers einzunehmen und verschiedene Aufgabenstellungen durchzuspielen. Diese können mittels 3D-Brille in direkter Interaktion in voller Lebensgröße erlebt werden. So wird es ermöglicht, etwaige, später auftretende Mängel im Hinblick auf die Ergonomie schon im Vorfeld zu erkennen und Produkte bereits in der Entwicklungsphase einem lebensnahen Praxistest zu unterziehen. (vgl. Thiesdell, 2011)

Prototyping

Das Herzstück der Produktentwicklung ist und bleibt aber immer noch das Produkt selbst. Auch hier kann VR helfen: da das menschliche Gehirn fast 90 % seiner Wahrnehmung visuellen und akustischen Reizen verdankt, kann die Produktentwicklung mittels einem virtuellen Prototyping-Prozess extrem lebensnah und kostenschonend vollzogen werden. Dadurch entstehen auch völlig neue Möglichkeiten in Produkttestverfahren und im Produktinteraktionsdesign. Besonders bei großen und komplexen Produkten kann so bereits im Vorfeld ein virtueller Prototyp getestet und optimiert werden, bevor er überhaupt gefertigt wird. Ein zusätzlicher Vorteil entsteht dabei auch durch die räumliche Unabhängigkeit, dass Menschen an den verschiedensten Orten zeitnah gemeinsam am gleichen Objekt arbeiten bzw. dieses weiterentwickeln und testen können, ohne physisch präsent sein zu müssen. (vgl. Teamsdesign GmbH, 2017)

Exkurs: Darstellungstechnik

Während bei einfachen Produkten eine Simulation mittels 3D-Brille schon hilfreiche Einblicke in die Ausgestaltung eines geplanten Produkts leisten kann, bedient man sich bei komplexeren Systemen des VR-Caves: Das ist ein zumeist aus mehreren (maximal sechs) Projektionswänden bestehender Raum, in dem die Wände mittels Projektionstechnik von hinten bespielt werden. Dadurch wird ein dreidimensionaler Projektionsraum erschaffen. Mittels Eye-Tracking werden Position, Bewegung und Perspektive des Nutzers registriert und die Visualisierung dynamisch angepasst. Dies ermöglicht dem Anwender freies Agieren inmitten einer virtuellen Umgebung, die Möglichkeiten der immersiven Stereoskopie werden maximal genutzt. Das bedeutet in der Praxis, dass zB ein Objekt wie ein Auto auch von unten betrachtet werden kann, wenn der Nutzer in die Hocke geht. (vgl. Knoll, 2016)

(Mechdyne Corporation 2014)

Simulationen von Produktionsstraßen

Besonders bei der Großfertigung von Produkten in Fließbandproduktion ist die umfassende Planung und Arbeitsvorbereitung die halbe Miete für einen reibungslosen Fertigungsprozess. Kein Wunder, dass beispielsweise die Automobilindustrie bereits seit über fünf Jahren auf die Unterstützung mittels VR-Technologie setzt. So implementierte der Autobauer Ford bereits 2012 eine „virtual factory“, um in der Produktion effizienter zu werden. Diese ermöglicht den Technikern, den Fahrzeugzusammenbau mittels 3D-Computeranimation zu analysieren und zu optimieren. Voraussetzung dafür war, die tatsächlichen Produktionsstraßen zu scannen, zu digitalisieren und in der 3D-Welt nachzubauen. In dieser können dann Fertigungsszenarien mittels Projektionstechnik und AR-Brillen dargestellt, optimiert oder angepasst werden. (vgl. Bell, 2012)

Assembling

Wird ein Produkt nun am Ende des Tages in der realen Welt tatsächlich produziert, kann auch an dieser Stelle noch mittels AR optimiert werden: Boeing führt bereits Pilotprojekte durch, bei denen AR integraler Bestandteil im Produktionsprozess ist – beispielsweise durch die Überlagerung realer Komponenten durch digitale Komponenten. Bei Lockheed Martin wird mit „smart glasses“ experimentiert, die den Technikern in Form von „Echtzeit-Handbüchern“ Anweisungen zum Bau und der Reparatur der F-35 Jets liefern. (vgl. Cave, 2016)

Generell zeichnet sich in allen Branchen der Fertigung, die die Zusammenstellung vieler Komponenten in einer präzisen Abfolge unter hohem Zeitdruck abverlangen, ein klarer Trend ab, Arbeitsinstruktionen, die früher als sperriges PDF vorlagen, nun in allzeit verfügbare, virtuelle und interaktive Tools zu verpacken. Dies gilt gleichermaßen für die Herstellung von Mobiltelefonen bis hin zu Düsenjets. (vgl. Wright, 2017)

Wartung

Natürlich funktioniert AR auch blendend in der Wartung: So verwendet beispielsweise der Aufzughersteller Thyssenkrupp die Microsoft Hololens, um Wartungsmitarbeiter durch den Wartungsprozess zu führen. Ein großer Vorteil liegt dabei nicht nur in der Verfügbarkeit sämtlicher Dokumentationen und Wartungsinstruktionen, sondern auch in der Tatsache, dass der Mitarbeiter seine Hände frei hat, während er die Brille mittels Sprache steuern kann. Auch die Einbindung von Skype-Calls, um Experten zu einer Spezialfrage zu kontaktieren und gleichzeitig Bilder der Situation in Echtzeit zu übermitteln, werden verstärkt genutzt. Damit wird es möglich Experten, die nicht physisch präsent sind, die Perspektive der Person, die eine Wartung durchführt, zu gewährleisten.

(Thyssenkrupp 2016)

Weiters lassen sich derartige Anwendungen dann auch nahtlos für weitere Bereiche wie Training oder Qualitätssicherung heranziehen. Hier gibt es beispielsweise Pilotprojekte bei Porsche, wo Qualitätsbeauftragte Fahrzeugteile bestehender Fahrzeuge fotografieren und diese dann automatisiert mit den vom Hersteller der Teile zur Verfügung gestellten Originalbildern mittels AR-Überlagerung vergleichen können. Dadurch kann im Handumdrehen festgestellt werden, ob verbaute Teile den ursprünglichen Spezifikationen entsprechen. Im nächsten Schritt plant man sogar, die Kameras im Produktionsbereich mit der cloudbasierenden Produktdatenbank von Porsche zusammenzuschließen, um den Abgleich der Fahrzeugteile und deren richtigen Einbau in Echtzeit zu überprüfen.

Fazit

Der kurze Rundgang durch alle Phasen der Produktentwicklung zeigt klar, dass hier AR und VR nicht mehr wegzudenken sind. Schon jetzt bieten diese Technologien klare Kosten- und Effizienzvorteile, auf die keiner der großen Player mehr verzichten kann und will. Ich bin sicher, dass wir auch in diesem Bereich erst am Anfang stehen und zukünftig noch viele weitere Erleichterungen ermöglicht werden, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Quellen

Lee Bell (2012): „Ford announces development of virtual factory“ https://www.theinquirer.net/inquirer/news/2196469/ford-announces-development-of-virtual-factory [Stand 5.12.2017]

Holly Cave (2016): „VR and AR in factories and manufacturing“
https://eandt.theiet.org/content/articles/2016/03/vr-and-ar-in-factories-and-manufacturing/ [Stand 5.12.2017]

Andreas Knoll (2016):“Von der Datenbrille zur VR-Cave: Virtual Reality dringt in die Produktentwicklung vor.“ http://www.elektroniknet.de/markt-technik/industrie-40-iot/virtual-reality-dringt-in-die-produktentwicklung-vor-130773.html [Stand 5.12.2017]

Teams Design GmbH (2017): „Virtual reality for ne wage prototyping“
http://www.teamsdesign.com/en/news/article/apply-virtual-reality-to-industrial-design [Stand 5.12.2017]

Dan Thiesdell (2011): „EADS virtual reality goes global“
https://www.flightglobal.com/news/articles/eads-virtual-reality-goes-global-362057/ [Stand: 5.12.2017]

Ian Wright (2017): „What can Augmented Reality do for manufacturing?“
https://www.engineering.com/AdvancedManufacturing/ArticleID/14904/What-Can-Augmented-Reality-Do-for-Manufacturing.aspx [Stand 5.12.2017]

Videos:
AutomotoTV, 2015

Mechdyne Corporation, 2014: „Renault’s CAVETM: Using viszualization technology in the automotive industry

Thyssenkrupp, (2016) Bringing new vision to elevator maintenance with Microsoft HoloLens

Titelbild:
https://flightchic.com/wp-content/uploads/2016/04/800x600_1460381043_vrglass.jpg
flightchich.com

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